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Interview mit dem Schamanen Angaangaq Angakkorsuaq aus Grönland und warum wir Fischköpfe, Fischhaut und Blaubeeren essen sollten

Angaangaq Angakkorsuaq Grönland Schamane
© sven-nieder.de

Autor:
ist Food Fotograf, Kochbuchautor und Blogger.

Hier teilt er Rezepte, beantwortet Kochfragen und hilft beim Kochen.

Angaangaq Angakkorsuaq ist ein Schamane, Ältester und traditioneller Heiler aus Kalaallit Nunaat, Grönland – einem Land in dem es nie Krieg gegeben hat.  

Seit seiner Kindheit wurde er von seiner Familie, insbesondere von seiner Großmutter Aanakasaa, auf die Aufgabe als Schamane vorbereitet. Die spirituelle Aufgabe, die ihm von seiner Mutter mit auf den Weg gegeben wurde, besteht darin, „das Eis in den Herzen der Menschen zu schmelzen“.

Angaangaq überwindet die Grenzen zwischen Kulturen und Glaubensrichtungen, zwischen Jung und Alt. Seine Arbeit hat ihn in über siebzig Länder der Welt geführt. In Zirkeln, Intensivseminaren und Aalaartiviit (traditionelle Schwitzhüttenzeremonien) macht er die mündlich überlieferte Heiltradition und Weisheit der alten indigenen Lehren greifbar und lebendig – Lehren, die den Menschen das Überleben am unwirtlichsten Ort der Erde ermöglicht haben. Er ist Hauptredner auf internationalen Konferenzen und Symposien zu den Themen Klimawandel, Umwelt, Spiritualität und indigene Völker.

Seit 2009 trägt er den Ehrentitel „Angakkorsuaq“ – „Großer Schamane“.

Das Interview habe ich im August 2020 geführt und ich freue mich sehr, die Geschichten von Angaangaq mit Dir zu teilen. Vielleicht hilft uns seine Perspektive und wir finden ein neues und besseres Verständnis für unser Essen und die damit verbundene Küche.

Thomas Sixt:

Hallo Angaangaq, ich wünsche Dir einen schönen Tag und danke Dir, dass Du Dir Zeit für dieses Interview nimmst. Du bist als Schamane aus Grönland bekannt, als traditioneller Heiler und Buchautor. Ich habe Dein Buch gelesen: „Schmelzt das Eis in Euren Herzen: Aufruf zu einem spirituellen Klimawandel“ und halte es hier in meiner Hand“.

Angaangaq Angakkorsuaq

Lacht, ich habe es selbst nicht gelesen, weil ich nicht gut Deutsch spreche! Er trinkt aus seiner Tasse.

Thomas Sixt:

Angaangaq trinkst du einen Schamanentee? 

Angaangaq Angakkorsuaq

Nein Thomas, das ist Dallmayer-Kaffee aus München, den mir eine liebe Workshop-Teilnehmerin geschickt hat und den ich sehr gerne trinke.

Kaffebohnen
Schamane Angaangaq trinkt gerne Kaffee © Thomas Sixt Food Fotograf

Thomas Sixt:

Okay, das ist lustig und sehr passend: Wir haben für heute ein besonderes Interview vereinbart. Es geht um eine Sache, über die Schamanen und spirituelle Heiler selten sprechen: Es geht um Kochen und Essen. Ich bin ein Koch aus Deutschland und mich interessiert die Einstellung der Ältesten zu diesem Thema. Was kannst Du uns sagen, was Du in der Welt und in den verschiedenen Kulturen zu diesem Thema im Moment siehst? Ich würde Dir gerne das Wort übergeben und hoffe auf interessante Geschichten…

Angaangaq Angakkorsuaq

Das werde ich und ich werde Dir einige Geschichten erzählen. Ich hoffe, Du magst die Geschichten. Ich freue mich wirklich, Dich kennenzulernen, die Bilder auf Deiner Website lassen mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. 

Ich habe viele köstliche Ideen zum Kochen bei Dir gesehen, aber kommen wir zur Geschichte:  

Als ich als Kind aufgewachsen bin, war das Essen ganz anders als das, was ich heute kenne und esse. 

Es gab keinen Aldi und wir waren mehrere Kinder in unserer Familie. Wir mussten jagen und fangen, was das Meer oder das Land uns gab. Wir machten viel aus Algen, schon unsere Vorfahren wussten, dass dies die gesündesten Pflanzen der Welt sind. Außerdem war das meiste Essen in meiner Kindheit Rohkost. Wir mussten Robben oder Fische jagen, um uns zu ernähren, und wir lernten, das Gejagte zu räuchern. Wir trugen die präparierten Tiere immer wieder tagelang zum Meer, um sie dort zu salzen, dann wurden die Tiere zum Räuchern wieder aufgehängt. So erhält man kurz geräuchertes Fleisch, das auch für eine gewisse Zeit haltbar ist. 

Algen als Zutat in der Küche: Oben Algensalat unten Wakame. © Thomas SIxt

Thomas Sixt

Das hattest Du mit den Robben und mit den Fischen gemacht, ist das richtig?

Angaangaq Angakkorsuaq

Ja, natürlich. Wir waren damals oft hungrig, weil es nicht so viel zu essen gab. Die Jäger konnten nicht bei jedem Wetter auf das Meer hinausfahren und jagen. Manchmal hatten wir drei Monate lang sehr, sehr wenig zu essen. Daran erinnere ich mich noch und ich trage dieses Gefühl des Hungers in meinem Körper.

Am Ende waren wir 6 Brüder und zwei Schwestern in meiner Familie. Wir mussten schnell essen, um satt zu werden. Meine Eltern wussten noch, welche Pflanzen wir essen konnten. Es gab wenig gekochtes Essen, wir aßen auch viel Leber. Ich halte die Leber eines gesunden Tieres für das gesündeste Lebensmittel überhaupt. Das glauben die Leute heute nicht mehr. Rohe, frische Leber war für uns eine Delikatesse.

Die Leber befindet sich nach dem Tod des Tieres in einem Schockzustand, in diesem Moment ist die Leber besonders gesund. Diese Mahlzeit hat in unserem Land eine große Tradition.  Wir haben auch rohen und gereiften Fisch gegessen. Dieser hatte einen besonderen Geruch, die jungen Leute würden ihn nicht mehr essen. Sie können in den Laden gehen und dort Dinge kaufen.

Die Frauen sammelten Beeren und andere Früchte und trockneten sie hinter dem Haus, das waren vor allem Heidelbeeren, Brombeeren und Cowberry. Ich mochte die getrockneten Beeren nicht, sie schmeckten so ähnlich wie Rosinen. Später haben die Einheimischen das nicht mehr gemacht und importierte Sachen gekauft. Die jungen Leute gehen lieber in den Laden und kaufen Fleisch und Obst.

blaubeeren
Der Schmane empfiehlt uns Beerenfrüchte und isst selber gerne Blaubeeren. © Thomas Sixt

Thomas Sixt

Welche Erinnerungen sind geblieben?

Angaangaq Angakkorsuaq

Meine Erinnerungen an das Essen, als ich aufgewachsen bin, sind sehr intensiv. Der Geschmack ist wie gemalt in meinem Kopf. Wir hatten Fleisch von sechs Arten von Walen und roten Fischen aus der Tiefsee. Die gab es nur im Winter. Wir hatten auch Flunder und der Geschmack dieser Fische war intensiv. Aber ich möchte zu einem anderen Punkt kommen: Die Zubereitung der Speisen war anders. 

Dazu eine Geschichte: Ich war zu Gast in Japan. Ich wollte Fisch essen. Im Fischladen wunderte ich mich, warum die Fischhändler die Haut und die Köpfe der Fische wegwarfen. Ich sprach mit einem Fischhändler und kaufte ihm dann die Köpfe und Häute ab. Er lernte von mir, die Haut und die Köpfe für einen Dollar zu verkaufen. Hier in Grönland wurde der Fisch immer im Ganzen zubereitet. Die Fischköpfe wurden ausgekocht, die Haut wurde gegessen. Beides enthält viele Nährstoffe und ist unheimlich gesund. Heute isst in Alaska niemand mehr die Haut der Flunder oder eines anderen Fisches. Sie wollen alle nur das Filet. Aber der Kopf und die Haut des Fisches sind pure Medizin. Ähnlich ist es mit den Blaubeeren und den Blättern. Auch die Blätter sind gesund. Die jungen Blätter schmecken köstlich. 

Was denkst du über diese Geschichte Thomas?

Ganze Scholle vorbereiten, abgetrennter Kopf und abgeschnittene Flossen.
Scholle im Ganzen vorbereiten Flossen und Kopf abschneiden.
Fischsuppe
Beste Fischsuppe Rezept Bild von Chefkoch © Thomas Sixt

Thomas Sixt

Ich finde diese Dinge sehr interessant, wir haben viel über das traditionelle Essen in Grönland erfahren und über Deine Erfahrungen mit dem Essen und der Nahrungszubereitung in Deinem früheren Leben und die westlichen Dinge, die für Dich unverständlich waren und sind. Vielen Dank dafür!

Was denkst du über Fisch und Meeresfrüchte als Nahrungsmittel in der heutigen Zeit? Was würdest Du den Leuten sagen, wenn sie zu dir kommen und dich fragen, welches Essen gut ist?

Angaangaq Angakkorsuaq

Ich sage ihnen zum Beispiel, dass sie den Kopf des Fisches und auch die Haut mitkochen sollen, weil dort die wichtigsten Mineralien enthalten sind. Das ist gesund und das Beste am Fisch. Wenn ich kann, teile ich mein Essen, vielleicht können die Leute es probieren. Meistens koche ich den Lachs mit dem Kopf, dazu kommen einige Gewürze, in diesem Gericht sind alle wichtigen Stoffe enthalten.

Das ist sehr interessant: In vielen Orten, wo Fisch verkauft wird, wird der Fisch in Fett gebacken, aber das wertvolle Fischfett wird nicht mehr gegessen. Das Fischfett ist das beste Fett der Welt. Den wertvollsten Teil des Fisches findet man heute in der Mülltonne. Daneben essen die Menschen Schokoriegel. 

Frischer Fisch auf Eis
Fisch im Ganzen „verkochen“ – ist eine gute Empfehlung

Thomas Sixt

Die Sache mit dem Fisch ist wirklich interessant, vor ein paar Wochen habe ich im Garten ein paar Fische vergraben, um die authentische Zubereitung von graved Lachs zu zeigen. Um ehrlich zu sein, kenne ich als Koch nur das Marinieren im Kühlhaus. So kam ich auf die Idee, den Fisch im Garten zu vergraben. Der Fisch ist toll geworden, aber um ehrlich zu sein, habe ich weder die Haut noch den Kopf gegessen. Wir sollten einfach kochen.

Angaangaq Angakkorsuaq

Thomas, das machen wir auf jeden Fall. Wir werden am offenen Feuer kochen!

Graved Lachs aufgeschnitten
Selbst gemachter graved Lachs aufgeschnitten auf einem Brett.

Thomas Sixt

Wir kommen zu einem interessanten Punkt, der Art und Weise, wie Essen zubereitet wird. Du hattest uns von Deiner Kindheit in Grönland erzählt und jetzt bist Du in dieser modernen Welt angekommen. Jetzt gibt es eine Mikrowelle, einen Ofen, ein Induktionskochfeld, ein Gaskochfeld und ein Elektrokochfeld. Glaubst du, dass die Zubereitung von Speisen auf einem offenen Holzfeuer gesünder ist?

Angaangaq Angakkorsuaq

Als Kinder haben wir in Grönland mit Grasbüscheln Feuer gemacht. Unser Vater brachte uns das bei, als wir auf der Jagd waren. Wir sammelten das Gras unter dem Schnee und pressten es dann zu einem Kissen zusammen und kochten den Fisch darauf. Es war ein kleines Feuer. Es brennt sehr fein, aber es reicht, um den Fisch zu kochen. Heute koche ich, wenn ich kann, mit Gas oder auf dem offenen Feuer. Eine Mikrowelle habe ich nicht.

 

Lachsfilet grillen
Lachsfilet grillen geht ganz einfach, Du findest hier im Blog noch weitere feine Grill Rezepte.

Thomas Sixt

Jetzt haben wir schon eine zweite Idee, außer den gekochten Fischköpfen, was wir gemeinsam kochen können Angaangaq, danke!

Thomas Sixt

Welches Essen ist gut für die Seele. 

Angaangaq Angakkorsuaq

Essen ist gut für die Seele, wenn eine Zeremonie stattgefunden hat. Wenn jemand dem großen Geist für das Essen dankt. Im Westen nennt man das Tischgebet. Die Energie verändert sich, es ist gut für die Seele. Es ist gut für den Geist und es ist gut für den Körper. Denke daran, dass das Essen sollte nicht nur gut für den Magen sein, es sollte eine Medizin für den ganzen Körper sein. Eine kurze Zeremonie vor dem Essen ist wirklich wichtig. 

Ich habe ein Buch geschrieben und die Geschichte meines kleinen Bruders erzählt, der 1968 geboren wurde. In einer Jäger- und Sammlerfamilie ist es wichtig, die Kinder zu ermutigen und ihnen das Jagen in einem sehr jungen Alter beizubringen. Mein Bruder fing seinen ersten Fisch im Alter von 2 Jahren und es wurde ein Fest daraus. Alle Stammesmitglieder durften von dem Fisch essen und es war eine Zeremonie für Herz und Seele. Wir haben vor Freude geschrien und gelacht. Das meine ich mit einer Zeremonie, wir feierten das Leben, die Jagd und den Erfolg und ließen meinen Bruder hoch leben. 

Das war das letzte Mal, dass ich eine alte Tradition erlebte, bei der mein Bruder zum Versorger seines Volkes erklärt wurde. Es war die erstaunlichste und schönste Zeremonie, die ich je erlebt habe. Ich beobachtete meine Mutter und meinen Vater während der Zeremonie und erinnerte alle daran, dass sie kommen und den ersten Fisch kosten sollten 

Thomas Sixt

Ich erinnere mich an diese Geschichte, sie steht in deinem Buch und sie ist wundervoll!

Angaangaq Angakkorsuaq

Ja, das stimmt, die Geschichte steht in dem Buch, es ist eine wunderbare Geschichte. Sie beschreibt diese Zeremonie des Danke-Sagens. Das ist etwas, das unsere modernen Gesellschaften teilweise verloren haben. Danke zu sagen bedeutet, der Schönheit des Lebens die Ehre zu erweisen. Wir sagen Danke zu allem, wenn wir es beim Essen tun: Dem großen Geist und dem Menschen, der für uns gekocht hat. So wird das Essen zur Medizin. Diesen Zusammenhang müssen wir uns wieder bewusst machen, als eine Art des Dankens. Dann geht es uns allen besser. 

Ich erinnere mich an einen Besuch in Italien, ich hatte mich nicht bedankt und aß zwei Portionen Eis. Danach fühlte ich mich schlecht. Ein anderes Mal habe ich gedankt und die zwei Portionen Eis waren in dem Moment wie Medizin. Das ist kein Vorschlag für dich, zwei Portionen Eis zu essen, Thomas, eine macht auch glücklich!

Thomas Sixt

Richtig, Angaangaq – wie siehst du den Trend zur vegetarischen und veganen Küche?

Angaangaq Angakkorsuaq

Um ganz vorsichtig zu sein: Ich habe viele Menschen kennengelernt, die vegetarisch und vegan leben. Ich begrüße das. Ich reise sehr viel. Wir haben überall das gleiche Problem mit dem Essen. Die Tiere aus der Zucht bekommen viel Medizin und auch das Gemüse wird mit Chemikalien behandelt. Gemüse ist gut, wenn es natürlich ist. 

Wir werden immer mehr Menschen und brauchen Alternativen. Wenn ein großes Fischerboot kommt und den ganzen Fischschwarm aus dem Meer fischt, dann haben wir ein Problem. Tierische Nahrung muss etwas Besonderes sein, der Verzehr eine besondere Zeremonie für ausgewählte Tage. 

Ich bevorzuge Shrimps und Muscheln, aber hier haben wir das gleiche Problem. Die Ozeane sind verschmutzt und besonders dort, wo Meerespflanzen angebaut werden, ist die Verschmutzung sehr hoch. Wir müssen lernen, sorgsamer mit der Natur umzugehen. Das Gleiche gilt für die Transportwege, frisches Gemüse wird per Schiff nach Grönland gebracht, das Gemüse ist dann ein paar Tage alt. In der Vergangenheit gab es in Grönland kein Gemüse. Wir müssen andere Wege finden. Die Art und Weise, wie die Menschen die Tiere behandeln, ist nicht gut, aber jetzt entwickelt sich der Umgang mit ihnen langsam zum Positiven und die Menschen werden sensibler. 

Ich esse seit über 50 Jahren jeden Tag Blaubeeren oder Heidelbeeren. Ich kann mir einen Tag ohne Heidelbeeren nicht vorstellen. Das habe ich von meiner Mutter und Großmutter gelernt, die Beeren sind in unserer traditionellen Kultur eine Medizin. Deshalb esse ich diese Beeren jeden Tag. Wenn ich keine bekomme, dann fehlt mir etwas. Vielleicht kann ich diesen Absatz damit zu einem positiven Ende bringen. 

Gekochte Miesmuscheln
Gekochte Miesmuscheln im Topf mit Petersilie kurz vor dem Servieren. Moules frites zeige ich Dir an anderer Stelle. © Thomas Sixt

Thomas Sixt

Angaangaq, vielen Dank für das Interview und die Geschichten, die du mit uns geteilt hast.

Angaangaq Angakkorsuaq

Es war mir ein Vergnügen, dich kennenzulernen Thomas, grüße bitte deine Familie.

Thomas Sixt

Danke Angaangaq

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