Drei Backversuche für Rhabarbertarte

Autor:
Chefkoch Thomas Sixt ist Food Fotograf, Kochbuchautor und Blogger.
Hier teilt er Rezepte, beantwortet Kochfragen und hilft beim Kochen.
Es war ein Sonntag wie aus dem Bilderbuch. Die Sonne schien, der Kaffee duftete, ich blätterte in einer dieser Lifestyle-Zeitschriften und da war sie: die Rhabarber-Tarte.
Eine Patisserie-Vision in Rosa, kunstvoll belegt mit rautenförmig geschnittenem Rhabarber, glänzend wie aus einem Werbeclip für Backträume mit Fußnoten.
Meine Frau überflog das Rezept – „Die machen wir!“ – und ich dachte mir: Topf trifft Deckel, Backhandschuh küsst Teigkarte.
Der erste Versuch: Vertrauen in Glanz und Gauß
Ich hatte sofort fachliche Bedenken: kein Blindbacken, kein Ei im Teig, keine Stärke in der Füllung. Aber das Bild war überzeugend. So überzeugend, dass ich mir kurz einredete, alles zu vergessen was ich bisher gelernt habe.
Meine Frau hielt sich genau ans Rezept – mathematisch exakt, fast wie Carl Friedrich Gauß, der bekanntlich Pi auf mehr Nachkommastellen berechnete, als ein durchschnittlicher Thermomix-User je braucht.
Die Tarte wanderte in den Ofen. Wir hielten uns an die Backzeit wie ein Kapitän an die Titanic-Routenbeschreibung. Was soll schiefgehen?
Dann kam der Moment der Wahrheit. Die Tarte zerfiel beim Anschneiden wie die Illusion vom perfekten Instagram-Dinner.
Der Tarteboden? Matschig. Die Tartefüllung? Flüssiger als der Kommentarbereich unter einem Vegan-Rezept mit Butter. Kein Crunch, kein Stand, kein Genuss.

Was war schiefgelaufen?
Alles – außer das schöne Rautenmuster. Ich sah vor meinem inneren Auge die arme Praktikantin im Zeitschriftenbüro, wie sie zum Stockfoto ein Rezept schreiben musste.
Vielleicht mit der veganen Butter-Alternative im Kopf, Dinkelmehl in der Hand und ganz viel innerem Wunsch, mal Foodredakteurin zu werden.
Das Rezept war schlicht Murks. Dinkelmehl, Butter, Zucker – kein Ei, kein Bindemittel, keine Ahnung und kein Blindbacken.
Dazu noch falsche Temperaturen, unrealistische Backzeit. Vielleicht war es ja Kunst. Vielleicht war es Satire.
Aber sicher kein funktionierendes Rezept.
Zweiter Versuch: Wir beissen uns fest
Aufgeben? Nicht mit uns. Meine Frau gab nicht auf – und genau deshalb liebe ich sie. Wenn sie sich etwas in den Kopf setzt, dann zieht sie’s durch.
Und ich? Ich bin genauso. Hier hatten sich zwei Backterrier gefunden – statt aufzugeben, bissen wir uns gemeinsam am Rezept fest.
Wir wagten noch einen zweiten Versuch. Dieses Mal konzentrierten wir uns auf den Teig – der sah im Bild so gut aus, das musste doch klappen.
Leider nicht. Blindback-Versuch mit Teig ohne Ei:
Der Teig lief beim Backen auseinander wie ein schlecht gelaunter Streuselkuchen. Das Ergebnis? Siehe Bild.
Doch jetzt war der Ehrgeiz geweckt. Es ging uns nicht mehr nur um Kuchen. Es ging um Prinzipien.

Dritter Versuch: Handwerk schlägt Hochglanz
Ich griff in die Profi-Trickkiste: 34 Jahre Küchenwissen, ein paar Fachbücher zur Seite, Lenôtre im Hinterkopf und den „Jungen Koch“ in Griffweite.
Mürbeteig mit Ei. Blind gebacken. Füllung mit echter Bindung. Und das Rautenmuster – ja, das übernahmen wir aus der Zeitschrift. Schließlich soll man auch aus Fehlern das Beste machen.
Am Ende stand sie da: die perfekte Rhabarber-Tarte. Knusprig, fruchtig, säuerlich-süß, cremig in der Mitte, stabil am Rand – und beim Anschneiden blieb sie ganz. Wie ein Kuchen das eben tun sollte.

Mein Fazit
Zeitschriften-Rezepte sind wie Politiker-Versprechen – schön formuliert, aber oft nicht backfest.
Wer auf Nummer sicher gehen will, greift lieber zu Rezepten von Fachleuten, die nicht nur schreiben, sondern auch kochen und backen können.
4 Tipps, damit deine Rhabarber-Tarte gelingt:
-> Mürbeteig mit Ei zubereiten: Das 1-2-3-Verhältnis plus Ei bringt Struktur und Geschmack.
-> Mürbteig blind backen nicht vergessen: Nur so wird der Boden ein Kuchenboden.
-> Rhabarber richtig schälen: Für das perfekte Rhabarber-Mundgefühl
-> Füllung mit Stärke binden: Sonst hast du am Ende Rhabarbersuppe auf Mürbeteig.
-> Die Backzeit einhalten und dennoch den Stäbchentest am Ende der Backzeit machen, so gehst du auf Nummer sicher!
Und zur Ehrenrettung der Zeitschrift: Das Rautenmuster war wirklich schön. Vielleicht war’s ja ein Kunstprojekt – Backen als Performance, Rezept als Konzeptkunst, integriert in eine rosarote Deko-Welt.
So wurde aus einem zweifelhaften Zeitschriftenrezept am Ende doch noch eine runde Sache – manchmal muss man doppelt backen, um ans Ziel zu kommen.
Herzliche Grüße
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